Trillerpfeifen statt Testate
Unsere Auslandsfreiwillige Marlene berichtet im Rahmen ihres FSJs bei Schüler*innen Helfen Leben über die aktuellen Ereignisse in Serbien.
1,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13,14,15 – RUMMS.
Vor drei Monaten, am 01.11.2024 um 11:52 Uhr, bricht in Novi Sad, der zweitgrößten Stadt Serbiens, ein Bahnhofsdach ein – und der Geduldsfaden unzähliger Serb*innen ab. 15 Menschen sterben. Eigentlich wurde der Bahnhof erst vor kurzem auf „europäische Standards“ renoviert. Unmöglich, dass ein Teil des Dachs einfach so herunterbricht. Es sei denn die Renovierung fand gar nicht in dem behaupteten Maße statt. Für viele eine eindeutige Illustration der im Land schon lange herrschenden Korruption und Unfähigkeit amtierender Politiker*innen. Und so treibt es auf die Straße: Jung und alt, groß und klein protestieren in Serbiens Hauptstadt Belgrad und weiteren Orten im Land gegen den Status quo und für Gerechtigkeit. Tragendes Element sind die seit Ende November anhaltenden Blockaden aller Universitäten in Belgrad und Novi Sad, sowie weiterer in Niš, Kragujevac und Subotica durch die Studierenden, die den normalen Universitätsbetrieb unterbinden. Sie sind es auch, die die vielen Protestaktionen, zuletzt ein Aufruf zum Generalstreik sowie die 24h Blockade eines wichtigen Belgrader Autobahnkreuzes, organisieren. Die Studierenden fordern Rechenschaft für den Bahnhofseinsturz, ein Ende der Korruption, funktionierende Institutionen und allem Voran den Rücktritt Aleksandar Vučićs. Seit 2017 ist er Präsident des Landes, das er seitdem mit seiner Partei (Serbische Fortschrittspartei, SNS) mehr und mehr in einen autokratischen Staat umbaut. Zwar haben mittlerweile einige wichtige Akteure, wie der Bürgermeister Novi Sads und der Bauminister ihren Rücktritt aufgrund der Ereignisse verkündet und auch Ministerpräsident Miloš Vučević legt sein Amt nieder, nachdem sich die Schlägertruppe, die Studierende in Novi Sad bis zur Bewusstlosigkeit verprügelte, als Mitglied der Serbischen Fortschrittspartei entpuppte, doch Verantwortung für die Vorfälle wird keine übernommen. Auf die Forderungen geht Vučić nicht ein, auf die Proteste reagiert er mit Beschwichtigungs- und Erpressungsversuchen durch verlockende Vergünstigungen. Doch sie bleiben laut, pfeifen durch ihre bunten Trillerpfeifen und rufen „Svi na blokade!“. Außer um 11:52 Uhr. Um 11:52 Uhr ist es still. Still auf den großen Belgrader Kreuzungen, auf denen Studis in gelben Warnwesten stehen, still vor den Fakultäten und Universitätsbibliotheken, vor den Regierungsgebäuden. Still 15 Minuten lang.